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Landleben

In Oberglatt werden Kamele gemolken

Kamele sind in arabischen Ländern Nutztier und Kulturgut. Diese einzigartigen Tiere können seit einigen Jahren hautnah in Oberglatt erlebt werden. Ein ehemaliger Beduine führt dort seit einigen Jahren eine Kamelfarm. Im Stall verbirgt sich eine Besonderheit, die man hierzulande von Milchviehbetrieben kennt.

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(Dr. Katharina Kempr)

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Redaktorin UFA-Revue

Mit lautem Getöse beschleunigt der A380 auf der Startbahn des Flughafens Zürich. Der Lärm hört erst auf, als das Flugzeug in den Himmel abhebt und schnell kleiner wird. Keinen Kilometer entfernt steht eine kleine Gruppe Kamele auf einer Weide und ignoriert das Schauspiel. Die Weide gehört zu «Ben’s Kamelfarm» in Oberglatt.

Beduinenvergangenheit

Kamel Ben Salem, oder einfach Ben, wie er von allen genannt wird, kam im Jahr 2000 in die Schweiz. Er ist gebürtiger Tunesier und entstammt einer Beduinenfamilie. In der Schweiz organisierte er zunächst gemeinsam mit einem Reiseveranstalter geführte Kameltrekking-Touren. Durch den Irakkrieg 2003 erlahmte aber der Tourismus in diesen Regionen. So kam Ben dazu, das ihm in die Wiege gelegte Wissen rund ums Kamel und die Zucht zu nutzen. Der Doppelbürger eröffnete 2004 seine Kamelfarm in Schleitheim (SH); seit 2011 ist die Farm am jetzigen Standort in Oberglatt. Beim Besuch der UFA-Revue erzählt er lachend: «Das Erste, was ich im Leben gesehen habe, war meine Mutter und dann gleich ein Kamel.»

Kurztrip in den Orient

Sind die Pforten der Kamelfarm geöffnet, erwartet die Besucherinnen und Besucher ein Hauch von «Tausendundeine Nacht». Auf der Anlage können die, je nach Zeitpunkt, 20 bis 30 Tiere beobachtet und gestreichelt werden. Aber nicht nur das; Ben bietet auch Kamelreiten an und veranstaltet Feste. Orientalisch dekorierte Gartenpavillons laden dazu ein, etwas zu trinken oder eine Kleinigkeit zu essen, zum Beispiel ein authentisches Nomadenfladenbrot. Feste wie Kindergeburtstage können ebenfalls auf der Farm gefeiert werden. Während des Aufenthalts kann man den Blick über den Laufstall und die dazugehörenden Weiden schweifen lassen. Im Stall selbst befindet sich eine besondere Attraktion: die erste Kamelmelkanlage Europas.

Ein Nutztier par excellence

Bens Kamele sind Hybride, welche er für die Milchproduktion nutzt. Dafür wurde extra eine Melkmaschine von einer Firma aus Deutschland entwickelt. Nach Bedarf sind ein, zwei, drei oder alle vier Zitzenbecher anzuhängen. Pro Tier und Tag liegt der Milchertrag bei etwa zwei bis fünf Litern. Wichtig ist, dass das Fohlen, oder Baby wie Ben es nennt, immer bei der Mutter bleibt. Sonst kann es sein, dass die Kamelstute schnell keine Milch mehr gibt, obwohl sie dazu etwa ein Jahr in der Lage wäre. Gleiches trifft auch zu, wenn sie sich nicht wohl fühlt. Beim Milchertrag können die Oberglatter Kamele nicht mit den speziellen Milchrassen mithalten, welche zehn bis zwanzig Liter am Tag geben. Die Milch weist einen ähnlichen Eiweiss- und Fettgehalt wie Kuhmilch auf und unterscheidet sich auch geschmacklich kaum. Allerdings ist das Vierfache an Vitamin C enthalten und es fehlt das ß-Lactoglobulin, das Allergikern zu schaffen macht.

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Mit der Melkanlage können variabel viele Zitzen gemolken werden. Bild: zvg

Zucht im Bürokratiedschungel

Ursprünglich wollte Ben Kamele aus seiner Heimat in die Schweiz holen. Dies war aber per Gesetz nicht mehr erlaubt. Das letzte Kamel von ausserhalb der EU durfte 1980 importiert werden. So blieb nur, Tiere von Gran Canaria einzukaufen. Importe innerhalb der EU sind aufwendig, da die Tiere Bluttests und eine längere Quarantäne durchlaufen müssen. Ben setzt sich mit Farmen aus 17 Ländern dafür ein, dass weltweite Importe wieder möglich werden. Das ist wichtig, um weiter gesunde Tiere züchten zu können. Ben sieht als grösstes Risiko die Inzucht, diese fördert Krankheiten unter den Tieren. Deswegen nutzt er die Hengste nur vier Jahre lang zum Decken. Die Kamelstuten bleiben bei ihm und können theoretisch immer empfangen und das bis zum Lebensende. Auf die Frage, wie die Lebenserwartung bei Kamelen ist, scherzt Ben: «Etwa 25 Jahre, aber bei mir haben sie einen Schoggijob und werden 30 Jahre alt.» Dann zeigen sich aber auch bei seinen Kamelen Alterserscheinungen wie Zahnverlust oder Verwirrtheit.

Oberglatt ist nicht die Wüste

Die Haltung der Tiere in der Schweiz ist durch das Tierschutzgesetz für Wildtiere geregelt. Dieses sieht vor, dass mindestens zwei Tiere zusammen gehalten werden müssen. Jedes Tier sollte dabei im Stall 8 m 2 zur Verfügung haben. Im Aussenbereich sind es für zwei bis drei Tiere mindestens 300 m 2 , wobei für jedes weitere Tier noch einmal 50 m 2 dazukommen müssen. Ben hofft, dass es in Zukunft eine Anpassung des Gesetzes für Altweltkameloide geben wird, um auf deren spezielle Bedürfnisse eingehen zu können. Er regt einen Austausch der Behörden mit den Kamelbesitzern in der Schweiz an, gerne öffnet er seine Farm dafür. Die Haltung unterscheidet sich sowieso von der in Tunesien. Dort laufen die Tiere ab Mitte März als Herde durch die Wüste Sahara. Tiere von vielen Besitzern, mit Brandzeichen gekennzeichnet, sind dabei gemischt. Auf 60 bis 100 Stuten kommt ein Hengst. Betreut wird die Gruppe durch einen Hirten, welcher die Tiere Mitte Oktober zur Oase, dem Sammelplatz, treibt. Dort nehmen die Besitzer ihre Tiere in Empfang, schauen, ob die Stuten trächtig sind, und verkaufen die Kamelbabys vom Vorjahr. Statt Wüstengras fressen die Oberglatter Kamele Kraftfutter mit Gerste und Mais sowie Heu. Ben erzählt, dass die wiederkauenden Tiere einen sehr sensiblen Magen haben. Aber nicht nur ihr Magen sei sensibel. «Kamele sind schnell beleidigt. Wenn sie geimpft werden, schauen sie mich danach oft tagelang nicht mehr an», berichtet Ben schmunzelnd. 

Kamele unterscheiden

Oft wird angenommen, man unterscheide zwischen Kamelen und Dromedaren. Das ist aber nicht richtig. Kamele oder Camelidae bezeichnet die wissenschaftliche Familie.

Dort gibt es zwei Gruppen, die Altweltkamele, zu denen Dromedar und Trampeltier gehören, und die Neuweltkamele, unter die Lamas, Alpakas, Vikunjas und Guanakos fallen. Ben hält auf seiner Farm Trampeltiere und Dromedare.

Die zweihöckrigen Trampeltiere kommen ursprünglich aus der Wüste Gobi in der Mongolei. Sie tolerieren Temperaturen von +40 °C bis –40 °C. Ihr Gemüt ist eher ruhig oder, wie Ben es beschreibt, behäbig.

Dromedare sind temperamentvolle Tiere mit nur einem Höcker. Sie stammen aus dem arabischen Raum und Afrika. Dromedare haben keine Probleme mit Temperaturen von bis zu +50 °C. Notfalls sind sie auch in der Lage, für kurze Zeit –15 °C auszuhalten. Die Tragezeit bei Altweltkamelen beträgt ein Jahr plus/ minus zwei Wochen.

Unser Tipp

Aktivitäten für 2022

Die Kamelfarm hat das Saisonende 2021 eingeläutet und auf Ende Oktober die Pforten geschlossen. Anfang März 2022 kann die Kamelfarm wieder besucht werden. Wer aber vorher schon einmal vorbeischauen möchte, hat dazu am 6. Januar 2022 beim Einzug der Heiligen Drei Könige die Chance. Bei Interesse an Bens geführtem Kameltrekking, der Kamelmilch, weiteren Events oder Buchungen für Anlässe bietet die Website zahlreiche Infos unter www.benskamelfarm.ch. Auf der Website der UFA-Revue zeigen wir noch eine kleine Bildergalerie mit mehr Eindrücken vom Besuch auf «Ben’s Kamelfarm».

 

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