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Betriebsführung

Arbeitszeit ist nicht gleich Arbeitsbelastung

Lange Arbeitszeiten prägen den Alltag vieler Landwirtschaftsbetriebe. Für die Beurteilung der Belastung reicht jedoch die reine Stundenzahl nicht aus. Agroscope hat untersucht, welche Merkmale das tatsächliche Belastungsempfinden besser abbilden können.

Sandwich-Silagen vereinfachen den Arbeitsablauf: Durch die geschichtete Lagerung kann der Hoflader die verschiedenen Komponenten in einem einzigen Arbei...

Sandwich-Silagen vereinfachen den Arbeitsablauf: Durch die geschichtete Lagerung kann der Hoflader die verschiedenen Komponenten in einem einzigen Arbeitsschritt entnehmen und den Mischwagen effizient befüllen.

(Bild: Stefan Gantenbein)

Publiziert am

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Agroscope

Wissenschaftliche Mitarbeiterin, Agroscope

Quer gelesen

  • Die wahrgenommene Arbeitsbelastung in der Landwirtschaft kann nicht auf die Arbeitszeit reduziert werden.
  • Verantwortung, Druck und unerwartete Situationen tragen wesentlich zum Belastungsempfinden bei.
  • Eine faire Bewertung berücksichtigt neben der Arbeitszeit auch Einflüsse wie Intensität, Planbarkeit, Sicherheit und Erholung.

Das Interesse von Politik und Verwaltung an sozialer Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Eine hohe Arbeitsbelastung und Zeitdruck können zu Stress, Erschöpfung und einer verschlechterten Work-Life-Balance führen. Behörden und Entscheidungsträger haben deshalb grosses Interesse an einem Instrument zur Bewertung der Arbeitsbelastung, um mit geeigneten Massnahmen die soziale Nachhaltigkeit von Landwirtschaftsbetrieben zu fördern.

Milchviehbetriebe empfinden höhere Belastung

Um zu untersuchen, welche Faktoren die wahrgenommene Arbeitsbelastung der Landwirtinnen und Landwirte am besten erklären, wurden drei Indikatoren herangezogen: der berechnete Arbeitszeitbedarf, der selbst eingeschätzte Arbeitsaufwand und die verfügbaren Arbeitskräfte (siehe Kasten). So liess sich bestimmen, welche dieser Grössen am stärksten mit der wahrgenommenen Arbeitsbelastung zusammenhängt.

Erhebung und Datengrundlage

Berechnungsgrundlage 

  • Die wahrgenommene Belastung wurde in einer Online-Umfrage mit 572 Betriebsleitenden erhoben (Skala 1 – 7). 
  • Der Arbeitszeitbedarf stammt aus Labour-Scope, der Arbeitsaufwand aus der Selbsteinschätzung, die verfüg baren Arbeitskräfte stammen aus der Strukturdatenerhebung. Aus gewertet wurde nach Betriebstyp gemäss FAT-Definition.

Messgrössen zur Arbeitsbelastung 

  • Arbeitszeitbedarf: Die Anzahl der Stunden, die gemäss der Produktionsausrichtung und des Produktionsumfangs rechnerisch pro Woche auf dem Betrieb anfallen. 
  • Arbeitsaufwand: Die Anzahl der Stunden, die nach eigener Schätzung der Landwirtinnen und Landwirte pro Woche im Betrieb gearbeitet werden. 
  • Verfügbare Arbeitskräfte: Die im Betrieb vorhandenen Arbeitskräfte, umgerechnet in verfügbare Stunden pro Woche.

Die Arbeitsbelastung wurde von den Landwirtinnen und Landwirten sehr unterschiedlich wahrgenommen (Grafik). Während nur etwa jeder dritte Mutterkuhbetrieb angab, die Arbeit im Betrieb belastend bis extrem belastend wahrzunehmen, waren es bei den Milchvieh- und bei den gemischten Rindviehbetrieben jeweils über die Hälfte. Eine geringe bis gar keine Belastung gaben knapp 40% der kombinierten Betriebe an.

Eigene Wahrnehmung passt besser

Zwischen den drei Messgrössen Arbeitszeitbedarf, Arbeitsaufwand und verfügbare Arbeitskraft bestehen nur schwache Zusammenhänge (Grafik). Sie bilden unterschiedliche Aspekte der Arbeit ab und eignen sich nicht austauschbar zur Bewertung der Arbeitsbelastung.

Bei den meisten Betriebstypen spiegelt der selbst eingeschätzte Arbeitsaufwand die wahrgenommene Belastung am besten wider. In Abbildung 3 werden diese beiden Grössen auf einer gemeinsamen Skala von 0 bis 100 dargestellt, der selbst eingeschätzte Arbeitsaufwand ist in Stunden pro Woche angegeben.

Milchviehbetriebe meldeten im Durchschnitt den höchsten Arbeitsaufwand.

Milchviehbetriebe schätzten im Vergleich zu anderen Betriebstypen den im Durchschnitt höchsten Arbeitsaufwand. Ein hoher Aufwand bedeutet jedoch nicht automatisch eine hohe Belastung: Milchviehbetriebe fühlten sich ähnlich belastet wie Betriebe mit gemischter Rindviehhaltung, obwohl diese einen deutlich geringeren Arbeitsaufwand angaben. Mutterkuhbetriebe gaben den geringsten Arbeitsaufwand an, haben jedoch eine ähnliche Belastung wie Betriebe mit Ackerbau und kombinierte Betriebe. Dies zeigt, dass neben dem Arbeitsaufwand auch die Aufgabenvielfalt, die Arbeitsorganisation und die Verteilung der Arbeiten im Jahresverlauf und im Team beeinflussen, wie belastend die Arbeit erlebt wird.

Auf dem Weg zu einem validen Arbeitsbelastungsindikator

Die wahrgenommene Arbeitsbelastung in Landwirtschaftsbetrieben kann nicht allein auf die Arbeitszeit reduziert werden.

Modelle erfassen nicht den mentalen Druck, die Verantwortung und den Stress.

Modelle können zwar berechnen, wie viel Zeit für einzelne Arbeiten zu veranschlagen ist. Sie erfassen jedoch nicht den mentalen Druck, die Verantwortung und den Stress, der mit der Arbeit einhergehen kann. Für eine glaubwürdige und umfassende Bewertung der Arbeitsbelastung sollten daher verschiedene Indikatoren gemeinsam betrachtet werden.

Redaktionelle Mitarbeit

Sarina Altermatt, Sabine Liebenehm und Nadja El Benni aus dem Forschungsbereich Nachhaltigkeitsbewertung und Agrarmanagement von Agroscope

 Auf dieser Grundlage sollte künftig ein mehrdimensionaler Arbeitsbelastungsindex entwickelt werden, der neben der aufgewendeten Zeit auch Faktoren wie Arbeitsintensität, Planbarkeit, Sicherheit und Erholung berücksichtigt. Ein solches Instrument würde helfen, die Belastung nicht nur im Sinn von geleisteten Arbeitsstunden, sondern auch im Hinblick auf äussere Einflüsse besser zu verstehen, zum Beispiel durch politische Vorgaben oder neue technologische Anforderungen, die zusätzliche Anpassungsleistungen verlangen. 

Peter Eugster, Gehrenhof, 9450 Lüchingen

 

«Bei uns gibt es keinen Tag, an dem unklar ist, was zu tun ist»

 

Wie empfinden Sie die Arbeitsbelastung auf Ihrem Betrieb?

Auf einem Milchviehbetrieb wie unserem, mit 95 Kühen und eigener Aufzucht, gibt es viel Arbeit. Den Stress haben wir aber schon seit Jahren abgeschafft. Dank Automatisierung und einer guten Organisation sind Ferien und regelmässige freie Tage für alle möglich. Mein Sohn und ich arbeiten Vollzeit. Mein Vater hilft mit einem kleinen Pensum mit. Der Arbeitstag beginnt für alle um 06.15 Uhr, wir arbeiten täglich 9¾ Stunden und die Pausenzeiten von insgesamt 2,5 Stunden pro Tag sind klar geregelt – so lässt sich auch die Freizeit zuverlässig planen.

Was hilft Ihnen, die Arbeit gut zu organisieren?

Am Montagmorgen erstellen wir gemeinsam einen schriftlichen Wochenplan. So wissen alle, was zum Beispiel am Donnerstagnachmittag ansteht. Für wiederkehrende Aufgaben, die zwischendurch erledigt werden, haben wir eine Wochenliste. In Wochen mit hohem Wetterrisiko planen wir Alternativen ein oder greifen – falls nötig – auf eine Liste mit Arbeiten zurück, die irgendwann erledigt werden könne. Diese Planung schafft Struktur und ermöglicht allen selbstständiges Arbeiten. Bei uns gibt es keinen Tag, an dem unklar ist, was zu tun ist. Realistische Tages- und Wochenziele machen den Arbeitsalltag befriedigend.

Wie gehen Sie mit Arbeitsspitzen um?

Mit einer «Sandwich-Silage» aus Gras und Mais halten wir die Fütterung so einfach wie möglich. Weil wir zwei Melkroboter haben, verursacht eine Störung keine Hektik. Die tägliche Stallarbeit kann problemlos von einer Person erledigt werden.

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Automatisierung muss entlasten: Für Peter Eugster erlaubt erst ein zweiter Melkroboter, Störungen gelassen zu beheben und die Arbeitsplanung verlässlich einzuhalten – auch wenn dies über den üblichen Auslastungsrichtwerten liegt.

(Bild: Stefan Gantenbein)

Die Aussaat und die Ernte staffeln wir so, dass das Silieren in die reguläre Arbeitszeit passt. Je nach Wetter kann es im April und Mai Ausnahmen geben. Der Samen muss einfach irgendwann im Boden sein.

Was würde Ihre Belastung langfristig weiter erleichtern?

Bei der überbetrieblichen Zusammenarbeit gäbe es sicher noch Potenzial, zum Beispiel bei einem unkomplizierten Flächenabtausch. Befriedigender wäre meine Arbeit generell, wenn ich meinen Lohn hauptsächlich für meine tägliche Arbeit bekäme – und nicht pauschal für die Fläche, die ich bewirtschafte.

Interview: Stefan Gantenbein

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