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Landleben

Ein später Lebensort auf dem Bauernhof

Altersheime kommen oft als eine Art Feriendomizil daher. Sie versprechen in Hochglanzprospekten einen geruhsamen Lebensabend mit gehobener Gastronomie, alters gerechter Infrastruktur und Freizeitaktivitäten. Nicht so das Wohnheim «Oeschberg der Lebensort» in Koppigen (BE). Hier wird hauptsächlich Arbeit versprochen – und zwar richtige.

Der ehemalige Knecht Alfred Lüthi bei der Herstellung von Anzündholz. Er liebt es, viel zu tun zu haben.

Der ehemalige Knecht Alfred Lüthi bei der Herstellung von Anzündholz. Er liebt es, viel zu tun zu haben.

(Bild: Andrea Freiermuth)

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Freie Journalistin

Alfred Lüthi (74) steht meistens schon vor sechs Uhr auf, zieht die Arbeitshosen über und schnürt seine Stahlkappenschuhe. Sein erster Job ist es, die Pylone an die Bern-Zürich-Strasse zu stellen, um für Sicherheit zu sorgen. Denn die stark befahrene Nationalstrasse trennt das Haupthaus vom dazugehörigen Bauernbetrieb. Dann schaut er bei Lotti und Lea nach dem Rechten, die beiden scheuen Geissen, die sich nur von ihm streicheln lassen. Anschliessend geht er in die Scheune zum Holz. Hier spaltet er Scheiten, bündelt Anzündholz oder zimmert Harassen. Auf die Frage, warum er sich das antut, wo er sich doch längst zurücklehnen dürfte, meint er mit einem zufriedenen Lächeln: «Ich muss nu was tu, susch veräckenig.»

Weit zurückliegende Anfänge

Das Wohnheim «Oeschberg der Lebensort» gibt es dank der Geschwister Elise und Ferdinand Affolter. Die beiden haben das Oeschberggut im Jahr 1905 an einen gemeinnützigen Verein vererbt, mit dem Auftrag, dort ein Dienstbotenheim für ehemalige Knechte und Mägde zu betreiben.

Der passionierte Holzarbeiter Alfred Lüthi war tatsächlich 45 Jahre als Knecht tätig, 43 davon beim selben Bauern. Da es heutzutage immer weniger Knechte und Mägde gibt, steht der Oeschberg inzwischen allen offen. Allerdings eignet er sich nur für Menschen, die noch mindestens vier Treppenstufen bewältigen können, nicht selbstgefährdet und auch nicht stark pflegebedürftig sind.

Jeder, wie er kann

Ob und wie viel man überhaupt noch arbeiten kann, ist nicht relevant. Kari Kropf (83) etwa ist im Garten keine so grosse Hilfe mehr, wie er es gerne möchte. Er mag zwar da und dort noch etwas Unkraut zupfen und gibt Brigitte Studer, die unter anderem für die Bewirtschaftung des Gemüsegartens angestellt ist, auch Tipps. Seine Lieblingsbeschäftigung ist es, die Katzen zu streicheln und zu versorgen. Mit, für seine grossen Gummistiefel, sehr kleinen Schritten geht er einem schwarz-weissen Kater nach: «Lueg, de Housi isch wieder do. Ig ha scho Angscht gah, de Fuxs häbn gholt.» Gestern Abend sei er das Büsi sogar mit der Taschenlampe suchen gegangen.

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Kari Kropf schaut gerne bei den Katzen nach dem Rechten.

(Bild: Andrea Freiermuth)

Gemeinschaft von Mensch und Tier

Im Oeschberg hat es derzeit 36 Bewohnerinnen und Bewohner sowie einen Tagesgast, verteilt auf drei Häuser. Dazu kommen vier Katzen, zwei Ziegen, neun Kaninchen und zwei Herden Legehennen – wobei die ältere der beiden nicht mehr auf der Wiese, sondern im Hühnerstöckli lebt, wie es sich für ältere Herrschaften gehört.

Die Tiere werden hauptsächlich durch die Bewohnenden betreut. Im Idealfall müssen Angestellte wie Brigitte Studer nur noch schauen, ob nichts vergessen gegangen ist. Neben den Arbeiten mit den Tieren, mit dem Holz und auf dem Hof gibt es für die Bewohnenden auch einige Aufgaben im Haus, wie etwa Staubsaugen, Abwaschen, Rüsten, Bügeln und das Ernten und Verarbeiten von Gemüsen, Beeren und Früchten. Und last but not least: das Betreuen des Verkaufsstandes an den Märkten in Solothurn, Burgdorf und Herzogenbuchsee.

Unser Tipp

Betreuung von Betagten auf Bauernbetrieben

Wer sich nun fragt, ob sich der eigene Betrieb für die Aufnahme von Seniorinnen und Senioren eignen könnte, kann sich bei der WoBe AG kostenlos und unverbindlich informieren. Die WoBe AG steht für «Wohn& Betreuungsangebote in Familien». Sie gilt als Anlaufstelle für potenzielle Gastfamilien, Gäste aber auch deren Angehörige und vermittelt Betreuungsplätze. Folgende Angebote sind möglich: Tagesstruktur (Aufenthalte ohne Übernachtung), Ferien- und Wochenendaufenthalte sowie dauerhaftes Wohnen in einer Gastfamilie. Die gemeinnützige AG unterstützt Landwirtinnen und Landwirte darin, eine Gastfamilie zu werden, und steht ihnen beratend zur Seite. Drei Mal pro Jahr organisiert die WoBe AG Informationsveranstaltungen in Bern für interessierte Personen. Die nächste Veranstaltung findet am 7. März 2023 statt.

Die Passung zwischen Gastfamilie und Gast steht für die WoBe AG an oberster Stelle und ist das zentrale Element für ein gelingendes Betreuungsverhältnis. Aus diesem Grund läuft die Vermittlung eines Gastes in eine Gastfamilie Schritt für Schritt ab: Erstgespräch, Erstbesuch, Schnuppern und Probezeit. Bei jedem Schritt kann sich der Gast sowie auch die Gastfamilie gegen eine weitere Zusammenarbeit aussprechen. Herausforderungen, welche sich für Beraterinnen und Berater der WoBe AG in der Vermittlung zeigen, sind beispielsweise die fehlende Finanzierung oder komplexe Problematiken.

WoBe AG, Wabernstrasse 34, 3007 Bern, 031 560 68 00, info@wobeag.ch, www.wobeag.ch

Betreuung ist intern geregelt

Angestellte in insgesamt 18 Vollzeitstellen begleiten die Bewohnerinnen und Bewohner durch den Alltag. Sie arbeiten in den Bereichen Gastronomie, Hauswirtschaft, Wohnen und Alltag sowie im grünen Bereich und in der Produktion und bringen hier auch die entsprechenden Ausbildungen mit. Anders als in anderen Altersheimen oder ähnlichen Institutionen übernehmen diese Fachmitarbeitenden aber alle auch Betreuungsfunktionen. Hingegen gibt es keinen eigentlichen Pflegebereich. Denn die Pflege ist an die Spitex ausgelagert. Bloss einfache Pflegeleistungen wie etwa Unterstützen beim Baden, Anleitung bei der Körperpflege werden intern abgedeckt.

Aktivieren und bremsen

Die Tagespauschale im Oeschberg liegt bei 135 Franken. Das führt für die Bewohnenden beziehungsweise ihre Angehörigen zu Kosten von mindesten 4000 Franken monatlich, womit das Heim vergleichsweise günstig ist. Wobei es vielleicht auch grundsätzlich falsch ist, beim Oeschberg von einem Altersheim zu sprechen. Der Betrieb funktioniert eher wie eine Grossfamilie oder eine Alters-WG. Welche Herausforderungen bringt das mit sich? «Es braucht ein sehr gutes Gspüri», sagt Brigitte Studer.

Der Betrieb funktioniert eher wie eine Grossfamilie oder eine Alters-WG.

Gerade wenn neue Bewohnende hinzukämen, die es zu integrieren gelte. So würde einer der Neuzugänge unglaublich gerne die Hasen übernehmen, aber sie könne dem langjährigen Betreuer der Nager diesen Job nicht einfach wegnehmen: «Die Hasen sind wie Antidepressiva für ihn.» Dann seien da jene, die man eher bremsen müsse wie etwa den Holzarbeiter Lüthi, und andere wiederum gelte es zu aktivieren. Auch die Architektur des Oeschbergs ist da und dort eine Challenge: «Wir befinden uns hier an einem denkmalgeschützten Ort», sagt Geschäftsführerin Nadja von Allmen (47). Es sei nicht möglich, die Häuser behindertengerecht umzubauen. Zudem sind die Zimmer bloss mit einem Lavabo ausgestattet. Dusche und WC befinden sich auf der Etage. Bewohnerinnen oder Bewohner, die nicht mehr genügend mobil seien, müsse man leider das Umziehen in ein anderes Heim nahelegen. «Wobei es erstaunlich ist, wie gross der Wille zum Dableiben zuweilen ist, und das hält die Leute natürlich auch fit.»

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