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Landleben

Der Geist der wilden Fräulein

Einst war sie ein Allerwelts-Heilmittel für Mensch und Tier. Später mutierte die Iva-Essenz zum aromatischen Kräuterlikör und Engadiner Nationalgetränk, das von Einheimischen heute noch selbst hergestellt wird.

Bernhards Kräuterlikör gab es als Crême d’Iva und als Fleur d’Iva.

Bernhards Kräuterlikör gab es als Crême d’Iva und als Fleur d’Iva.

(Aus dem Buch «Gesundheitsmythos St. Moritz» von Heini Hofmann)

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Zootierarzt und Wissenschaftspublizist

Die Moschus-Schafgarbe ist eine aromatisch riechende Pflanze, die vor allem in den Ostalpen verbreitet ist. Im Rätoromanischen wird sie auch Iva genannt. Ihre Bitterstoffe und die Wirkstoffe im ätherischen Öl galten schon seit Jahrhunderten als heilsam bei Appetitlosigkeit und Magen-Darmstörungen.

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Die Iva-Pflanze gedeiht in den Ostalpen bis über 3000 Meter Höhe.

(Aus dem Buch «Gesundheitsmythos St. Moritz» von Heini Hofmann)

Heilmittel mit Tradition

Die Verwendung der Iva-Pflanze zu Heilzwecken datiert weiter zurück als das daraus gewonnene alkoholische Getränk. Aus dem zur Blütezeit im Hochsommer gesammelten und getrockneten Kraut der Iva-Pflanze wurde ein Hausmittel zubereitet, das innerlich als Tonikum und äusserlich als Wundmittel bei Mensch und Nutztier angewendet wurde. 1768 berichtete der Berner Naturgelehrte Albrecht von Haller über die medizinische Anwendung der Iva-Pflanze: «Die Bergbewohner bereiten aus der Iva einen Tee, um den Schweiss zu treiben. Dagegen wird die Essenz bei Blödigkeit, Unverdaulichkeit, Schwäche des Magens, Blähungen und Grimmen mit Nutzen gebraucht». Doch bereits 1782 berichtete der Bündner Pfarrer Gujan, dass im Engadin seit vielen Jahren ein geistiger, angenehmer Likör aus dieser Pflanze zubereitet wird. Die Bündner Zuckerbäcker haben dann in ihren über ganz Europa und darüber hinaus verbreiteten Kaffeehäusern und Konditoreien den Iva-Likör weitherum bekannt gemacht.

Kenner der Heilkräuter

Grösster Promotor der Iva-Tradition war der Engadiner Samuel Bernhard, ein Apotheker und grosser Kenner der Heilkräuter. Nachdem er 1854 in Samedan eine Apotheke eröffnet hatte, begann er 1860 mit der Herstellung dieses Kräuterlikörs, anfänglich in der Apotheke, später in einem extra errichteten Fabrikationsbetrieb. Dies geschah – basierend auf alter Tradition, aber eigener Rezeptur – durch Mazeration und Extraktion der getrockneten Blätter und Blüten der Iva-Pflanze.

Iva gab es in vier verschiedenen Konfigurationen, nämlich einen Bitter und einen Wein als Heilmittel zur Verdauungsförderung, Nervenstärkung und Fiebersenkung sowie zwei delikate Liköre als Genussmittel. Die Flaschenetikette und die Zeitungsinserate zierte ein holdes Mädchen mit Blumen im Haar, das in hehrer Alpenwelt die Iva-Pflanze pflückt. Wer konnte da widerstehen? Der Iva-Likör wurde zum Renner.

Wildfräuleinkraut

Die Moschus- oder Bisam-Schafgarbe (Achillea erbarotta subsp. moschata) gleicht im Aussehen der gewöhnlichen Schafgarbe, hat sich aber durch Verkleinerung der Alpenflora angepasst. Sie kommt in Steinschuttfluren und lückigen Rasen in kalkarmer, alpiner Stufe bis über 3000 m ü.M. vor. Im Bündnerland werden die Blätter als Wildfräuli-Chrut («wilde Fräulein» = Berggeister), die Blüten als Wildmännli-Chrut bezeichnet. Rätoromanisch heisst die Pflanze iva, flur d’iva oder – im Oberengadin – plaunta d’iva. Im Tirol hört sie auf den Namen Almkamille oder Jochgramille, wohl wegen ihrer Ähnlichkeit mit der Kamille bezüglich Geruch und Verwendung.

Die Iva-Fabrik in Samedan

Die 1878 von Samuel Bernhard in Samedan erbaute und 1880 eröffnete Iva-Fabrik war einer der ersten industriellen Kleinbetriebe im Dorf. Sie stand vis-à-vis vom Kurhaus (heute Academia Engiadina). Diese Standortwahl direkt beim 1870 neu eröffneten Luxushotel war wohl Strategie; denn auch in andern Alpenkurorten verschiedener Länder vertrieben findige Apotheker ihre Likörspezialitäten in Hotelnähe, da ihre Abnehmer vor allem die Kurgäste waren. Später ging die Iva-Fabrik Konkurs und 1908 kam es definitiv zum Verkauf.

Wie es anschliessend weiterlief, bleibt nebulös. Gemäss Kaufprotokollen ging später die Iva-Fabrikation (als eingetragener Markenname) mehrmals in andere Hände über, kam von Samedan nach Chur und wiederum später von dort nach Davos in einen Familienbetrieb, wo der Name Bernhard immer noch getreulich auf den Flaschenetiketten beibehalten wurde, bis dann in den 1990er-Jahren die Originalessenz zu Ende ging. Zwar wird hier auch heute noch Iva-Likör produziert, doch die Erinnerung an Samuel Bernhard auf den Flaschenetiketten ist nun definitiv verschwunden. Aktuell gibt es im Engadin aber immer noch viele Private, die den Iva für den Eigengebrauch herstellen, praktisch jeder nach eigenem Rezept. 

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