category icon
Pflanzenbau

Kleine Käfer mit grosser Wirkung – Marienkäfer schützen Obstbäume vor Blattläusen

Marienkäfer sehen harmlos aus – doch im Obstbau sind sie tödliche Jäger: Als Nützling frisst der Marienkäfer in seinem Leben 4000 Blattläuse. Eine Beobachtung der Räuber auf ihrem Weg in den Einsatz.

Kleine Käfer mit grosser Wirkung – Marienkäfer schützen Obstbäume vor Blattläusen

Publiziert am

Autoren: Jürg Vollmer (freischaffender Autor) und Regina Burger (ehemalige Leitung Agroline Bioprotect)

Zwischen Mikroskopen, Zuchtboxen und Kartonröhrchen herrscht konzentrierte Betriebsamkeit. Aline Fauser, Biologin bei Agroline Bioprotect, füllt Kartonröhrchen um Kartonröhrchen mit jeweils hundert kleinen Marienkäfern. Die herzigen Insekten haben einen klaren Auftrag: Blattläuse vernichten. Schnell. Präzise. Biologisch. Und all das schon früh im Jahr und bei kühlen Temperaturen, zu denen die üblichen Marienkäfer-Arten noch nicht in auftreten. Gezüchtet werden die Zweipunkt-Marienkäfer für den Einsatz in Gewächshäusern sowie Obst- und Gemüsekulturen im Freiland. Die Nützlinge sollen dort tun, was sie am besten können: Blattläuse jagen und fressen. Und das mit wachsendem Arbeitspensum, denn der Schädlings-Druck durch die Blattläuse wird von Jahr zu Jahr stärker.

alt_text

Aline Fauser arbeitet mit den Zweipunkt-Marienkäfern. (Foto: Jürg Vollmer)

Blattläuse verursachen in Obst- und Gemüsekulturen grosse Schäden

Blattläuse sind in der Landwirtschaft gefürchtete Schädlinge, die durch das Aussaugen von Pflanzensäften erhebliche Schäden verursachen. Besonders betroffen sind Obst- und Gemüsekulturen, in denen die Läuse nicht nur die Pflanzen am Wachstum hemmen und sie verkrüppeln, sondern auch Viren übertragen können:

  • Apfelbäume: verschiedene Blattlaus-Arten wie die Mehlige Apfelblattlaus und die Apfelfaltenlaus
  • Kirschbäume: Schwarze Kirschenblattlaus
  • Pflaumen- und Zwetschgenbäume: verschiedene Blattlaus-Arten, insbesondere die Zwetschgenblattlaus
  • Tomaten: verschiedene Blattlaus-Arten ​
  • Paprika/Peperoni: verschiedene Blattlaus-Arten
  • Salat: verschiedene Blattlaus-Arten
  • Kohl: verschiedene Blattlaus-Arten
  • Mangold: verschiedene Blattlaus-Arten

Blattläuse überstehen alles: kalte Winter genauso, wie warme Winter

Früher glaubte man, die Blattläuse fallen mit dem Regen vom Himmel. Die moderne Wissenschaft weiss es besser. «Die Weibchen legen im Herbst ihre Eier auf Apfel-, Kirsch- und Pflaumenbäume, aber auch in Rosensträucher und andere Holzgewächse», erklärt Regina Burger, die als Pionierin der Nützlingszucht die Agroline Bioprotect aufgebaut hat. Die Blattlaus-Eier sind frostresistent und überstehen kalte und warme Winter. Im Frühjahr schlüpfen daraus die ersten Stamm-Mütter, die sich ohne Männchen bis Juli oder August massiv vermehren. Die adulten Blattläuse verstecken sich im Herbst unter Laub und in Mauerritzen. Bei milden Temperaturen im Herbst leben sie  länger und nach milden Wintern startet der Frühlingsschlupf der Blattläuse aus den Eiern früher. Es wäre ein echter Fortschritt, die Marienkäfer früh in den Obstanlagen zu haben, bevor die Massenvermehrung der Blattläuse einsetzt», betont Regina Burger. Weil chemische Insektizide unerwünschte Nebenwirkungen haben, suche die Landwirtschaft Alternativen, denn kein Landwirt sprühe gerne Insektizide ist die Agraringenieurin weiter überzeugt.

alt_text

«Weil der Schädlings-Druck durch die Blattläuse von Jahr zu Jahr stärker wird , steigt die Nachfrage nach wirksamen und vor allem natürlichen Lösungen in der Landwirtschaft», erklärt Regina Burger. (Foto: Jürg Vollmer)

Der unscheinbare Zweipunkt-Marienkäfer ist in Sachen Effizienz ein Riese

Mehr als 80 Marienkäfer-Arten sind in Mitteleuropa heimisch – viele von ihnen sind gefrässige Blattlaus-Jäger. Bei Agroline Bioprotect konzentriert man sich auf den unscheinbaren Zweipunkt-Marienkäfer. Er ist nur halb so gross wie der in der Schweiz bekannte Siebenpunkt-Marienkäfer – aber in Sachen Effizienz ein Riese.

Aline Fauser hält zwei Kartonröhrchen, jede von der Grösse einer Toilettenpapier-Kartonrolle. In der ersten: winzige, grauschwarze Larven. Zwischen fein zerschnittenen Papierschnipseln kaum zu sehen. In der zweiten: ausgewachsene Zweipunkt-Marienkäfer, die trotzdem nur 4 Millimeter klein sind.

alt_text

Agroline Bioprotect bietet verschiedene Marienkäfer-Produkte zur biologischen Schädlingsbekämpfung an: Adaliapak (Zweipunkt-Marienkäfer) und Cryptopak (Australischer Marienkäfer für Gewächshäuser und Innenräume). Mit Mux (Vierfleckige Kugelmarienkäfer) führt das Unternehmen noch Versuche durch. (Foto: Jürg Vollmer)

Feldversuch im Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL

Nahe der deutsch-schweizerischen Grenze, im Aargau, liegt Frick. Hier steht eine Kirschbaum-Anlage des Forschungsinstituts für biologischen Landbau FiBL in der Blüte. Ein Sinnbild des Frühlings – leicht mandelartig duftend, reinweiss mit einem Hauch von rosa. Tausende weisse Punkte auf dunklen Ästen, die sich im Wind leicht bewegen. Sobald die Blätter spriessen, kommen die Blattläuse aus ihren Verstecken, hungrig auf Pflanzensaft. Den grössten Teil des Zuckersaftes scheiden die Blattläuse als «Honigtau» wieder aus. Die befallenen Blätter und Triebe verkrüppeln und auf den vom «Honigtau» verschmutzten Früchten bilden sich schwarze, russartige Pilze, welche die Kirschen unverkäuflich machen. Am Rand der Kirschbaum-Anlage haben die Agrarwissenschaftler Lara Reinbacher vom FiBL und Franco Weibel vom Landwirtschaftlichen Zentrum Ebenrain «Blüh-Reservoirs» angepflanzt, drei Meter breite Streifen mit früh blühenden einheimischen Futterpflanzen für die Marienkäfer. Dieselbe Aufgabe haben «Blüh-Boxen», einfache Hochbeete aus Obst-Erntekisten. In den «Blüh-Reservoirs» und «Blüh-Boxen» finden die freigesetzten Marienkäfer genug Futter, um sich auf die «Explosion» der Blattlaus-Population vorzubereiten. Dann geht es aber Ratz-Fatz.

alt_text

In «Blühboxen» finden die adulten Marienkäfer und deren Larven genug Futter, um sich auf die «Explosion» der Blattlaus-Population vorzubereiten. (Foto: Agroline Bioprotect)

Die Marienkäfer-Larven sind blind, aber sie finden Blattläuse mit tödlicher Präzision

Die blinden Larven finden mit ihrem Tastsinn auch gut versteckte Blattläuse und schnappen blitzschnell zu. Mit ihren kräftigen Kieferwerkzeugen packen sie die Laus, durchbohren sie und saugen sie aus. «Eine einzige Larve frisst während ihrer zehn bis zwanzig Tagen dauernden Entwicklung mehrere Hundert Blattläuse», erklärt Agrarwissenschaftlerin Lara Reinbacher. Im letzten Larvenstadium ist sie besonders gefrässig und räumt ganze Blattlaus-Kolonien leer – oft sogar schneller, als man es mit blossem Auge verfolgen kann. Die erwachsenen Marienkäfer sehen im Unterschied zu den Larven sehr gut und können fliegen. Sie suchen gezielt nach neuen Blattlaus-Kolonien auf befallenen Obstbäumen. «Bei starkem Befall frisst ein einzelner Marienkäfer über 100 Läuse pro Tag, in seinem sechs bis acht Wochen dauernden Leben über 4000 Blattläuse», rechnet Lara Reinbacher vor. Wissenschaftliche Studien zeigen: Fünf Marienkäfer oder zehn Larven pro Quadratmeter reichen, um eine Blattlaus-Population in Schach zu halten. Der Erfolg hängt aber auch vom Zeitpunkt der Freisetzungen der Marienkäfer ab. «Zu früh bringt nichts – zu spät ist zu spät», meint Regina Burger. Die Zucht und Freisetzung müssen zum richtigen Zeitpunkt erfolgen. Ob es bei den Versuchen in den Tafelkirschen gelungen ist, diesen zu erwischen wird sich in den nächsten Jahren zeigen.

alt_text

Die Agrarwissenschaftlerin Lara Reinbacher ist Teil des Teams im Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL, das den Einsatz der Marienkäfer in den Kirschbaum-Anlagen leitet. (Foto: Jürg Vollmer)

Ameisen schützen die Blattläuse vor den angreifenden Marienkäfern

Aber es gibt noch einen Spielverderber: Ameisen verteidigen die Blattläuse aggressiv – denn sie leben vom zuckerreichen Honigtau, den die Läuse absondern. Dafür pflegen die Ameisen die Blattläuse, schützen sie wie eine Herde Kühe und bringen sie sogar gezielt auf neue Pflanzen. Wenn eine Ameise einen Marienkäfer oder dessen Larven entdeckt, versprüht sie Alarm-Pheromone. Dann rückt ein ganzes Ameisen-Kommando aus und beisst die Larven an den weichen Körperteilen, was tödlich enden kann. Die erwachsenen Marienkäfern sind durch ihre Panzerschale geschützt, verlassen aber oft entnervt die Pflanze. Am Anfang waren zwei Kartonröhrchen mit Marienkäfern und deren Larven im Labor. Jetzt sind die Nützlinge in den Blühboxen – minimal klein, und hoffentlich maximal effizient. Was die Marienkäfer auf der Kirschbaum-Anlage tun, bleibt von blossem Auge unsichtbar. Werden die kleinen Punkte bald grosse Wirkung zeigen? Vielleicht ist das die eigentliche Geschichte: wie ein winziger Käfer hilft, stabilere biologische Gleichgewichte zu erzielen und damit Insektizide und Produktionskosten einzusparen.

Innovativer Marienkäfer-Versuch

Die Versuche mit dem Marienkäfern als Nützlinge werden an neun Standorten durchgeführt. Einige verwenden «Blüh-Boxen» (8-10 pro ha), andere «Blüh-Reservoirs» in den Randzonen. Die Versuchspartner sind das Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL (Hauptlead), Ebenrain (Lead für den Kanton Baselland) und Agroline (Beschaffung der Käfer, fachliche Unterstützung). Dazu kommen die sehr engagierten Praxisbetriebe. Das Projekt wird von der Stiftung Sur La Croix, Dreiklang und vom Interreg Programm mitfinanziert. Die Entwicklung der Blühmischung wurde von UFA-Samen unterstützt.

Lesen Sie auch

Agrar-Quiz: Milch

Agrar-Quiz: Milch

Was wissen Sie über Milch? Nehmen Sie am Agrar-Quiz der UFA-Revue teil. Die Fragen drehen sich um Milchkühe, die Bedeutung der Milchproduktion und die Milch als Lebensmittel.

Zum Quiz

Meistgelesene Artikel

>