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Betriebsführung

Auf zu neuen Ufern

Althergebrachtes neu zu denken, ist der innere Drang von Pionieren. Wer beim Lösen der Leinen nicht alleine im Boot sitzt, hat bessere Chancen, aufkommende Stürme abzuwettern. Das zeigen zwei ganz unterschiedliche Beispiele aus der Schweizer Landwirtschaft.

Publiziert am

Redaktor UFA-Revue

Die Agronomin und Landwirtin Bettina Springer und ihr Berufskollege Andreas Näscher sind sich noch nie begegnet. Doch sie haben etwas gemeinsam. Wenn sie von einer Idee fasziniert sind, nehmen sie das Risiko in Kauf. Eine Garantie auf Erfolg ist diese Eigenschaft aber nicht. Dies musste die damals noch junge Landwirtin Springer erfahren, als sie vor Jahren ihre schlaffördernde «Nachtmilch» lancierte. Das innovative Projekt hätte ihren Kleinstbetrieb wirtschaftlich über Wasser halten sollen, entwickelte sich aber schliesslich zu einem Albtraum. Auch Andreas Näscher bläst beim Anbau von Lebensmittelhanf für die Alpenpionier AG immer wieder ein rauer Wind entgegen. Rückschlägen begegnet der Agropreis-Gewinner mit Einsatz und Beharrlichkeit. Den Erfolg schreibt er aber nicht sich alleine zu. Damit das Projekt auf Kurs bleibt, ist für ihn sein breit gefächertes Netzwerk innerhalb und ausserhalb der Landwirtschaft ebenso entscheidend. Näscher weiss, dass er bei seiner Arbeit voll und ganz auf seine Partner zählen kann.

Vernetzt den Hanf zur Blüte treiben

Andreas Näscher (50) bewirtschaftet seit 27 Jahren in Liechtenstein einen Bio-Betrieb, mit dem er Milchwirtschaft und Ackerbau betreibt und Weidebeef produziert. 2017 ist er als Gründungsmitglied bei der Alpenpionier AG in den Hanfanbau eingestiegen und hat zusammen mit weiteren Pionieren verschiedener Berufsgruppen dem Schweizer Hanfanbau neuen Auftrieb verliehen. Die Alpenpionier AG produziert aus der eigenen Ernte diverse Fertigprodukte wie geröstete und gesalzene Hanfnüsse zum Snacken, Hanfpasta, Energieriegel und vieles mehr. Vertrieben wird das Sortiment der Alpenpionier AG über den eigenen Onlineshop und über den Bio-Fachhandel.

www.alpenpionier.ch

Andreas Näscher: «Wenn jemand sagt, das gehe nicht, dann ist es für mich das Richtige. So war es auch mit dem Hanf. Als 2016 eine Gruppe enthusiastischer Leute aus ganz verschiedenen Berufsfeldern auf mich zukam mit der Idee, den Hanfanbau in der Schweiz wiederzubeleben, sagte ich: ‹Moll, das ist doch was, da mache ich mit.› Hanf ist heimisch, und es ist eine Heilpflanze. Die Zweifel, die andere Landwirte säten, spornten mich erst recht an. Am Projekt der Alpen pioniere überzeugten mich der Gedanke der Regionalität, die vernetzte Herangehensweise und die Idee, einen Rohstoff von der Saat bis zum fertigen Produkt in einer Kette zum Erfolg zu bringen.

Zusammen mit meinem Berufskollegen Georg Frick engagierte ich mich von Anfang an. Wir bestellten Saatgut für eine Fläche von zehn Hektaren und starteten den ersten Anbauversuch. Das Klima war ideal, wir säten breit und nicht zu dicht – mit vollem Erfolg. Wir ernteten fast zwei Tonnen pro Hektare. Da brauchte es nicht viel Überzeugungsarbeit, um weitere Landwirte zu gewinnen. Den Durchbruch erreichten wir mit der Teilnahme am Agropreis 2018. Zwischenzeitlich betrug die Anbaufläche der mittlerweile rund 30 Bio-Betriebe vom Kanton Thurgau bis ins Puschlav über 50 Hektaren. Natürlich lief nicht immer alles rund. Auch heute noch tasten wir uns an die optimale Anbautechnik heran. Den ersten Rückschlag erfuhren wir bereits im zweiten Jahr. Wir wollten zu viel, säten zu dicht und mussten zudem feststellen, dass die Vorfrucht grösseren Einfluss hat, als wir anfänglich dachten. Heute wissen wir, dass Kunstwiese am besten ist. Wegen der Fruchtfolge mussten wir dieses Jahr eine Anbaupause einlegen und produzieren aktuell auf nur elf Hektaren.

Die Zweifel, die andere säten, spornten mich erst recht an.

Insgesamt sind wir mit dem Projekt auf gutem Weg. Der Bruttoertrag von durchschnittlich bis zu 5400 Franken pro Hektare kann sich sehen lassen. Jeder Produzent bekam und bekommt für seine Ernte immer sein Geld. Der Erfolg liegt einerseits in der Aufgabenteilung und dem regen Austausch untereinander. Es sitzen die richtigen Leute am richtigen Hebel. Jeder hört dem anderen zu, und wir helfen uns gegenseitig. Auch haben wir gute Partner ausserhalb des Unternehmens. Zu ihnen zählen die LANDI Graubünden und die LANDI Buchs / Schaan. Sie machten von Anfang an mit und ermöglichen es uns, dass wir unsere Ernten regional sammeln und chargieren können. So führt eines zum anderen. Um die Regionalität bis zum fertigen Produkt zum Beispiel beim Hanföl beizubehalten, investierte ich mit meinem eigenen Betrieb in eine Ölpresse und verarbeite nun die Hanfnüsse im Auftrag der Alpenpionier AG. Eine andere Investition in Qualität und Flexibilität war vonseiten der Alpenpionier AG in die Hanfreinigungsund -schäl anlage in Zizers.

Am Ziel angelangt sind wir noch lange nicht. Für mich heisst das, den Anbau weiter zu optimieren. Hanf ist eine Frühjahrskultur und wächst zu Beginn noch langsam. Die Begleitflora wächst der Kultur davon. Striegeln ist da kein Thema. Nächstes Jahr probieren wir es mit der Reihensaat bei einem Abstand von 50 cm. Dafür investieren wir erneut in Maschinen, die wir gemeinsam nutzen werden. Es gibt noch viel zu tun – es werden immer wieder neue Herausforderungen auf uns zukommen, die wir gemeinsam mit neuen Partnerinnen und Partnern anpacken werden. Das ist es, was mich bei innovativen Projekten wie diesem antreibt.» 

Licht aus für die Nachtmilch

Bettina Springer (47) ist Bio-Landwirtin und Agronomin. Bereits während ihrer Ausbildung hat sie die praktische Arbeit fasziniert. Ihr erstes Projekt war das mit der Nachtmilch. Dabei liess sie sich vom Gedanken leiten, dass die Landwirtschaft für einen höheren Milchpreis selbst aktiv werden muss. Das Projekt schlug damals hohe Wellen und zeigte, dass Endverbraucher positiv auf Innovationen reagieren. Am Ende erfuhr sie, dass man im Alleinkampf in diesem Markt chancenlos ist. Ihr aktuelles Projekt ist der biologische und standortgerechte Anbau von Schnittblumen. Diese vermarktet sie zu Sträussen gebunden online über den eigenen Abo-Shop und über einen Bio-Laden in der Region. 

www.vidaflores.ch 

Bettina Springer: «Ich war die typische Quereinsteigerin. Meine Ausbildung zur Agronomin hatte ich gerade hinter mir, als ich 2004 mit meinem Partner den zwölf Hektaren kleinen Milchwirtschaftsbetrieb in Räterschen (ZH) übernahm. Die Betriebsgrösse verlangte nach Innovation. Ich wusste von einem Projekt in Finnland, bei dem das Morgengemelk aufgrund des hohen Gehalts am Hormon Melatonin als schlaffördernde Milch vermarktet wurde. Die Idee gefiel mir, und ich sah darin eine Chance für unseren Kleinbetrieb. Wir kauften einen zweiten Milchtank und starteten mit Versuchen.

Um den Melatoningehalt in der am Morgen gemolkenen Milch um das Vierfache zu steigern, brauchte die Herde einen fixen Tages- und Nachtrhythmus, bei einer möglichst langen Nachtruhephase. Also verdunkelten wir die Fenster und passten so die Ruhe- und Melkzeiten an. Inzwischen hatten wir auch einen Verarbeitungs- und Vertriebspartner gefunden, der unsere Milch in 250-ml-Fläschchen abfüllte. Wir druckten Etiketten mit dem Logo einer schlafenden Frau darauf, gefolgt vom Slogan ‹Nachtmilch – natürlich gut schlafen› und gingen damit auf den Markt. Das Produkt schlug ein. In den Reformhäusern stürzten sich die Kunden aufs Kühlregal. Mit einem Verkaufspreis von 2.40 Franken pro Fläschchen lagen wir nun bei einem Milchpreis ab Hof von einem Franken pro Liter. Der Liefervertrag mit zwei Grossverteilern krönte unseren Erfolg.

Schon vor dem Start hatte ich Angst, eine grössere Firma klaue mir die Idee, deshalb verfolgte ich keine Strategie der Kooperation und Zusammenarbeit. Ein grosser Fehler. Dann beanstandete die Lebensmittelbehörde die Deklaration unserer Milch aufgrund mangelnder Abgrenzung zwischen Lebens- und Heilmittel. Aus dem Slogan ‹natürlich gut schlafen› wurde ‹natürlich gut›. Wir druckten neue Etiketten. Doch die Behörde liess nicht locker. Dass jetzt auch noch das Logo wegmusste, empfand ich als Schikane. Als der Beamte mir am Telefon sagte: ‹Fräulein, hören Sie doch mit dem Schwindel auf›, verstand ich, dass es unmöglich war, mit dem Amt eine gesetzeskonforme Lösung für die Bewerbung unserer Milch zu finden. Wir durften nicht mehr produzieren. Das Amt leitete ein Verfahren ein, unsere Nachtmilch wurde nach nur sechs Monaten vom Markt genommen. Eine saftige Busse folgte.

Heute würde ich von Beginn weg die richtigen Leute mit ins Boot holen.

Das war das Ende des Projekts. Damit ich die Busse zahlen konnte, verkaufte ich mein Know-how einer Firma in Bayern. Die haben das Konzept weiterentwickelt und vermarkten die Nachtmilch ihrer Vertragspartner noch heute online als schlafförderndes Milchpulver.

Ich war damals starrköpfig, wollte allen beweisen, wie man es besser macht, und liess mich von der Angst leiten. Heute würde ich von Beginn an die richtigen Leute mit ins Boot holen. Über ein Netzwerk kann man sich austauschen und Herausforderungen gemeinsam anpacken. Beispielsweise hätte man den Standort in einen anderen Kanton verlegen können. Selber einen Betrieb führen und gleichzeitig ein neues Produkt entwickeln und vermarkten ist eine grosse Herausforderung. Ohne Unterstützung von Familie und Freunden wäre das nie möglich gewesen. Mir bleiben heute die Erfahrung und die Freude am Erfolg der pulverisierten Nachtmilch in Deutschland. Wer weiss, vielleicht lässt sich irgendwann ein Schweizer Betrieb von der Idee inspirieren und versucht es mit der Nachtmilch noch einmal.» 

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