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Betriebsführung

«Last minute» für Lebensmittel

Über die App «Too Good To Go» können Landwirtschaftsbetriebe liegengebliebene oder nicht marktkonforme Produkte in letzter Minute vor der Entsorgung retten. Doch nicht für jeden Hof ergibt eine Zusammenarbeit Sinn. In der Kritik stehen die hohen Gebühren sowie teilweise unverhältnismässig lange Anfahrtswege der Nutzerinnen und Nutzer.

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Publiziert am

freie Journalistin

Das dänische Unternehmen «Too Good To Go» kämpft seit Juni 2018 auch in der Schweiz mit seiner App gegen die Lebensmittelverschwendung in Gastronomie und Detailhandel. Das Konzept bietet sich auch für Hofläden an, die für ihre nicht marktkonformen oder bald ablaufenden Produkte einen Absatzkanal suchen. Seit zwei Monaten spannt «Too Good To Go» mit dem Schweizer Bauernverband (SBV) zusammen. Denn auch dort weiss man: Food Waste vermeiden liegt vielen landwirtschaftlichen Betrieben am Herzen. Als Produzenten kennen sie den Aufwand, der mit der Erzeugung von Lebensmittel verbunden ist und schätzen den hohen Wert eines Nahrungsmittels. Die teilnehmenden Betriebe stellen eine Auswahl von Produkten bereit, die von den Nutzern direkt auf der App bezahlt und persönlich abgeholt werden.

Kunden gewonnen

In der App zu finden ist auch Familie Müller in Steinmaur ZH, die sehr reife Tomaten aus ihren beiden Hofläden zu Tomatensauce veredelt. Dass die Weiterverarbeitung nicht bei allen Produkten geht, fand Samuel Müller störend. Oft musste er Salate auf dem Miststock entsorgen, die er nicht kurz nach der Ernte verkaufen konnte. «Privat nutzte ich die App bereits. Vor knapp eineinhalb Jahren habe ich unseren Hofladen bei ‹Too Good To Go› angemeldet», sagt Samuel Müller. Nach einem kurzen Telefonat mit «Too Good To Go «waren Müllers online. Und verkauften schon die erste Überraschungspäckli in Windeseile. «Die App brauchte keine Anlaufzeit. Es kamen sofort Kunden, die die Päckli abholten», so Müller. Sein Team vom Hofladen Mattenhof füllt täglich etwa drei bis fünf Taschen, die ‹Too Good To Go› Nutzer eine halbe Stunde vor Ladenschluss abholen können. Müller zeigt sich zufrieden mit dem Service: «Die App ist einfach zu bedienen und das Raufladen von Päckli ist unkompliziert», sagt Samuel Müller. «Und wir erweitern unseren Kundenkreis, weil wir nun App-Nutzer zu unseren regelmässigen Kunden zählen dürfen, die uns ohne App wohl nicht gefunden hätten.»

Essen gerettet – CO2 ausgestossen

Dieser positive Nebeneffekt der Kunden-Akquirierung kann aber auch einen faden Beigeschmack haben, wie Aline Gerber vom Hof am Stutz erfahren musste. In ihrem Hofladen in Kaufdorf BE verkauft sie gemeinsam mit ihrem Partner Gemüse und Eier. Sie hat sich vor zwei Monaten bei Too Good To Go angemeldet, als der Schweizer Bauernverband eine Kampagne lancierte. Ihr Motiv war das Vermeiden von Food Waste, insbesondere aus ökologischem Gedanken. Sie stellte Überraschungspäckli im Warenwert von 15 Franken zusammen, die die App-Nutzer für knapp 5 Franken beziehen konnten.

Einzelne Kunden fuhren aus dem 18 Kilometer entfernten Thun auf den Hof, damit sie die Gemüsetüte zum Schnäppchenpreis haben konnten. «Das machte mich nachdenklich. Natürlich freue ich mich über Neukunden, aber eigentlich wollten wir mit der App ja einen Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten», sagt Aline Gerber. Ausserdem habe sie pro Päckli gut zehn Minuten Arbeitszeit investiert und musste jeweils vorgängig informieren, wo die Kunden diese abholen können, da es ein Selbstbedienungs-Hofladen ist. «Dazu kam die hohe Kommissionsgebühr von ‹Too Good To Go›. Von fünf Franken blieben mir am Schluss noch zwei Franken übrig und das für Produkte, die ich auch auf dem Misthaufen entsorgen könnte, wo sie zu Humus umgewandelt eine tolle Grundlage für unsere Felder bilden», so Gerber. Weil für sie die Rechnung nicht mehr stimmte, meldete sich der Hof am Stutz bei «To Good To Go» wieder ab.

Gleichzeitig überlegte sich Aline Gerber, wie sie trotzdem Food Waste vermeiden kann und entschied, mit Frauen aus dem Dorf einen WhatsApp-Chat zu starten. «Unser Chat zählt 10 Frauen aus Kaufdorf. Wann immer ich eine Portion bereit habe, schreibe ich eine Nachricht und Interessierte melden sich. So bleibt die Ware in der Region und die Umwelt wird aufgrund des Anfahrtsweges nicht belastet», so die junge Agronomin.

So umweltfreundlich ist die App

Die App von «Too Good To Go» macht für die Betriebe monatlich sichtbar, wie viele CO2-Äquivalenzen durch den Vertrieb der Überraschungspäckli eingespart wurden. Weil auf der App nicht angegeben werden muss, was genau in den Überraschungspäckli drin ist – es könnten 1 Kilogramm Fleisch, 4 Kilogramm Kartoffeln oder auch lediglich ein Salat drinstecken – hat Too Good To Go in Zusammenarbeit mit MyClimate einen Durchschnittswert definiert. Dieser liegt bei 2.5 Kilogramm CO2-Äquivalenzen pro Überraschungspäckli. Es sind dabei nur die Ressourcen eingerechnet, die für die Produktion der Nahrungsmittel verwendet wurden, nicht die Anfahrtswege der App-Nutzer.

Bei den Anfahrtswegen appelliert «Too Good To Go» an die Vernunft ihrer Nutzer. «Die Idee hinter ‹Too Good To Go› ist, dass die Nutzer gemeinsam mit den Betrieben in ihrer unmittelbaren Nähe Food Waste bekämpfen und wir unterstützen auch den Grundgedanken, keine längeren Fahrten für die Rettung des Essens auf sich zu nehmen», sagt Jessica Jocham. In der aktualisierten Version der App kann gemeinsam mit der Einstellung für den Standort die Entfernung der Betriebe auf 3 bis 30 Kilometer eingegrenzt werden.

Gegen die Kritik an der Höhe der Kommission wehrt sich das dänische Unternehmen. «Die Vision von ‹Too Good To Go› ist ein Planet ohne Food Waste», sagt Jessica Jocham von Too Good To Go auf Anfrage. Mit seinen Einnahmen decke das Unternehmen die Lohnkosten ihrer rund 560 Mitarbeitenden in Europa sowie Expansionen nach Schweden oder bald auch in die USA. Ausserdem investiere «Too Good To Go» in die weitere Verbreitung seiner Bewegung gegen Food Waste, ein Beispiel ist das Label «oft länger gut» für Produkte mit Mindesthaltbarkeitsdatum. Jocham zeigt sich erfreut über die Zusammenarbeit mit dem SBV. «Die Kollaboration ermöglicht uns eine höhere Reichweite. So können wir mehr Lebensmittel retten und auf das Problem von Food Waste in unserer Gesellschaft aufmerksam machen.»

Übermengen schnell verkauft

Das Unternehmen springt auch helfend ein, wenn die Ernte auf dem Feld liegen bleiben droht. Wegen der geschlossenen Restaurants während der Corona-Krise blieben belgische Kartoffelbauern auf ihrer Ernte sitzen. Da rief «Too Good To Go» kurzerhand mit einer Werbekampagne die Leute zum Verzehr von Pommes Frites auf. Oder «Too Good To Go» hilft, wenn grosse Mengen Hofglacé ablaufen, wie dies auf der Jucker Farm beinahe passiert wäre.

«Weil wir aufgrund von Corona-Massnahmen unsere Glacés trotz bestem Frühlingswetter nicht verkaufen konnten, habe ich mich im Mai an ‹Too Good To Go› gewandt, sagt Nadine Gloor von der Jucker Farm. «Dank ihrer schnellen Reaktion konnten wir innerhalb von 3 Tagen rund 800 Glacé-Kübeli von unserem Bächlihof verkaufen.» Privat habe sie die App zwar schon lange genutzt, eine gewisse Skepsis innerhalb des Teams gegenüber der App habe aber bisher eine Zusammenarbeit ausgeschlossen. «Die Glacé-Aktion war dann der Startschuss für unsere Zusammenarbeit mit ‹Too Good To Go›, unser Bächlihof ist seit letztem Montag auf Too Good To Go dabei. Wenn es gut läuft, dann weiten wir das Angebot auf unsere anderen Höfe aus», freut sich Nadine Gloor.

Sie hätten zwar nicht so viel Food Waste, weil sie in ihrer Manufaktur bereits unschönes Obst oder Gemüse verarbeiten könnten. «Wir werden per App Überraschungspäckli mit einem Warenwert von 30 Franken anbieten, der Kunde zahlt 9.90 Franken. In die Tüte kommen Produkte aus der Manufaktur wie Konfitüren, die zu wenig Pektin enthalten oder täglich anfallendes Gemüse und Backwaren.» Gloor glaubt nicht, dass sie einen grossen Aufwand betreiben müssen, um die Päckli zusammenzustellen. «Das System mit den Überraschungspäckli ist einfach, die App leicht zu bedienen. Bereits nach einer Woche wissen wir, dass Leute in unseren Hofladen kommen, die uns vorher nicht gekannt haben. Das ist doch toll!»

Junge Nutzer auf Höfe locken

Für Andrea Oldani, Projektleiterin beim Schweizer Bauernverband, steht einerseits die Bekanntmachung der App bei den Landwirten im Vordergrund und andererseits freut sie sich, dass Hofläden nun eine grössere Reichweite haben. «Insbesondere Jugendliche kaufen sonst wohl selten direkt beim Bauern ein. Aber viele von ihnen sind Nutzer von ‹Too Good To Go› und kommen so in Zukunft auch mit dem Angebot auf Bauernhöfen in Berührung», sagt Oldani. Finanzielle Unterstützung bietet der SBV den Hofläden nicht, welche die App nutzen. Die rein kommunikative Partnerschaft soll die Bewegung gegen Lebensmittelverschwendung vorantreiben. Einen typischen Betrieb für ‹Too Good To Go› gebe es nicht, sagt Oldani. «Grundsätzlich kann jeder Betrieb mitmachen.» Der Verband hofft, dass sich in Zukunft möglichst viele Betriebe für die App registrieren und wünscht sich eine schweizweite Abdeckung.

Anmeldung

Interessierte Betriebe können sich unter diesem Link anmelden, App-Nutzer können via Filter in der «Stöbern» Funktion der App mit Begriffen wie «Hofladen», «Hof», «Farm» Hofläden aufspüren, die mit «Too Good To Go» zusammenarbeiten.

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